Überwasserkirche

Die ehemalige Stiftskirche „St. Maria“ wurde am linken Ufer der münsterischen Aa gebaut Da sie sich nicht an der Uferseite des Domhügels, sondern am gegenüberliegenden Ufer befand, erhielt sie den Namen Überwasserkirche. Weil sich an dieser Stelle der Aa eine Furt befand, war hier gleichzeitig ein Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen für den Handelsverkehr der Stadt Münster.

ueberwasser-grundriss
1. Taufstein (Johann Wilhelm Gröninger,1720) vor der westlichen Wand des südlichen Seitenschiffs
2. Darstellung der „Himmelfahrt Mariens“ (Matthias Kappers) hinter dem Taufstein
3. Alabasterrelief der „Himmelfahrt Mariens“ im Westen des nördli- chen Seitenschiffs
4. Bronzener Tabernakel (Bernhard Kleinhans, 1982) im Osten des nördlichen Seitenschiffs
5. Holzskulptur der Pietà (15. Jh.) vor dem nördlichen Chorpfeiler
6. Kreuz (Barock) über dem modernen Zelebrationsaltar
7. Epitaph der Brüder Kerckerinck (Gerhard Gröninger) mit Szenen aus dem Marienleben an der südlichen Wand
8. Moderne Chorfenster und östliche Seitenschifffenster (Peter Valentin Feuerstein)
9. Grabstein eines Bischofs (um 1180) in der Turmhalle
10. Votivbilder der Künstlerfamilie tom Ring in der Turmhalle
11. Barocker Altaraufbau (Johannes Mauritz Gröninger, um 1691) in der Ludgeruskapelle

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Baugeschichte

1040: Weihe des ersten Kirchbaus
1071: Zerstörung des Gotteshauses durch einen Brand
1085-1088: Bau eines zweiten Kirchbaus
1121/1197: Erhebliche Schäden durch erneute Stadtteilbrände
1340: Baubeginn der bestehenden Hallenkirche
1345-1346: Bau des Chorraumes
1363-1374: Errichtung des Westturms
1534: Erhebliche Schäden durch die Wiedertäuferwirren

Nach dem Krieg: Wiederaufbau der stark zerstörten Kirche

Bischof Hermann I. (1032-1042) gründete unterhalb des Domhügels an der Furt der Aa ein Damenstift für junge Damen aus dem Adel und der gehobenen Gesellschaft Münsters, welches 1617 in einen Benediktinerinnen-Konvent umgewandelt wurde. Am 29. Dezember 1040 wird in Anwesenheit König Heinrichs III. die Stiftskirche unter dem Titel der „Geburt Mariens“ geweiht. Über diesen ersten Kirchbau gibt es keine gesicherten Angaben.

Nach der Zerstörung durch einen Brand wurde ein zweiter Bau zwischen 1085 und 1088 errichtet, wie Urkunden über die Weihen zahlreicher Altäre und Kapellen belegen. Von dem zweiten Bau existiert nur noch ein Turmstumpf nördlich des gotischen Westturms, die Ludgerus- oder Jerusalemkapelle, wobei jedoch nicht sicher durch Quellen belegt ist, ob die Kirche zwei Türme gehabt hat.

Zwei weitere große Brände haben diesem Kirchbau zugesetzt. Der erste Schaden entstand bei einem Brand am 7. Mai 1121 durch eine Panik unter der Bevölkerung, als Lothar von Süpplingenburg die Stadt stürmte. Der zweite Brand 1197 wurde ausgelöst durch die Unvorsichtigkeit im Umgang mit offenem Feuer in Anbetracht einer herrschenden Trockenheit.

Ab 1340 begann auf Drängen der Bevölkerung der Bau der bestehenden gotischen Hallenkirche. Der Bau erfolgte in mehreren Phasen. Im Zeitraum von 1345-1346 wurde der Chorraum gebaut. In der Zeit zwischen 1363 und 1374 begann man mit der Errichtung des Westturms, dessen Fertigstellung in das Jahr 1415 fällt.

Erhebliche Beschädigungen wurden der Kirche 1534 in der Zeit der Wiedertäuferwirren zugefügt. Der Spitzenhelm des Turmes wurde herunter-
gestürzt, um eine Plattform für die Aufstellung von Geschützen zu bekommen. Die Figuren des Westportals fielen in dieser Zeit ebenfalls dem Bildersturm der Wiedertäufer zum Opfer. Sie wurden benutzt zur Verstärkung der Befestigungsanlagen der Stadt. Die wiedergefundenen und zum Teil stark beschädigten Figuren befinden sich heute im Westfälischen Landesmuseum. Der in den Jahren 1601-1603 erneuerte und in den Jahren 1903-1910 abermals ersetzte Figurenzyklus wurde bis auf vier Figuren im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die nach der Wiedertäuferzeit nach 1535 neu aufgesetzte Turmhaube wurde bei einem Orkan 1704 erneut zerstört und nicht wieder erneuert. Im Zweiten Weltkrieg fielen große Teile der Kirche den Bomben zum Opfer, doch aus der verbleibenden Bausubstanz konnte die Überwasserkirche in alter Schönheit wiedererrichtet werden.

Außenansicht

 Der Bau der dreischiffigen gotischen Hallenkirche geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Der Westturm, der auch gleichzeitig die Schauseite zum Vorplatz der Kirche nach Westen bildet, erhebt sich in fünf Geschossen über einer nahezu quadratischen Grundfläche, wobei das fünfte, höhere Geschoss sich in ein Oktogon auflöst. Das festungsartige Mauerwerk des Turmes in Quadertechnik ruht auf 3,4 m starken Grundmauern, die seitlich geringfügig über die Grundmauern des Mittelschiffs hinausgehen. Die Spitzen der Treppentürmchen an den Ecken des fünften Geschosses ragen über die Maßwerkbrüstung hinaus und unterstreichen die filigrane Auflösung des ansonsten massiven Mauerwerks.

Das zweite bis vierte Geschoss wird jeweils durch vier zweibahnige, spitzbogige Blendfenster gegliedert, wobei die beiden inneren Blendfenster mit jedem weiteren Geschoss in zunehmend größer werdende echte Fensteröffnungen und Klangarkaden übergehen. Die einzelnen Geschosse sind durch Gurtgesimse deutlich voneinander getrennt.

Neben Blendfenstern und Klangarkaden wird die Westseite des Turmes durch eine reichhaltige Figurenanordnung gegliedert.

Während die mittlere Figurengruppe mit der Kreuzigungsdarstellung im dritten Geschoss sich mittelachsig über der Kreuzblume der Portalspitze erhebt, flankieren Figuren unter einem Spitzenhelmbaldachin die beiden mittleren Blendfenster und Klangarkaden und setzen die aufstrebende Blickführung der von einer Fiale gekrönten Portalpfeiler in den darüber liegenden Geschossen fort.

Trichterartig ist das Portal mit seinem Maßwerkfenster in die Wandung des Turmes eingelassen. Über den Figurenschmuck des Portals gibt die Baugeschichte Auskunft. Auffällig ist, dass der Turm im Gegensatz zum Langhaus über keine Strebepfeiler verfügt und sich so deutlich vom Langhaus abhebt. An den durch Strebepfeiler und drei­bahnige Maßwerkfenster gegliederten Chor schließt sich das wesentlich höhere Langhaus an, dessen Südseite durch sieben Strebepfeiler und drei-bahnige Maßwerkfenster, die nahezu die ganze Wandung füllen und direkt oberhalb des Kaffgesimses beginnen, gegliedert ist. Nur über dem Westportal der Südseite ist das Fenster zwei­bahnig.

Das Satteldach des Langhauses schließt in seiner Firsthöhe mit dem dritten Turmgesims ab, wodurch eine harmonische Verbindung zwischen Turm und Kirchenschiff entsteht. Während das Mauerwerk der Wandung aus Haustein gefügt ist, sind Gesimse, Strebepfeiler, Portal-und Fensterfassungen wie auch die Maßwerkfiguren aus Werkstein.

Die modernen Bronzetüren im westlichen Portal auf der Südseite, die 1976 von Bernhard Kleinhans geschaffen wurden, beschäftigen sich in ihrer Bildgestaltung thematisch mit der Angst und deren Überwindung. Der rechte Türflügel zeigt Antonius von Dämonen umgeben, der linke Flügel verweist mit der Darstellung der alttestamentlichen Figuren Adam und Eva und König David auf die Überwindung der Ängste. Der Türgriff, der die Geschichte des Jonas im Fischbauch thematisiert, weist auf die Rettung durch den auferstandenen Christus hin. Im Spitzbogen über den Bronzetüren befindet sich ein Epitaph der Äbtissin Elisabeth von Holte.

Innenansicht

Innenraum

Innenraum

Die dreischiffige gotische Hallenkirche mit nach Osten geradwandig abschließenden Seitenschiffen erstreckt sich über eine Länge von sechs querrechteckigen Jochen, wobei das westliche Joch des Mittelschiffs etwas größer ist, was dazu führt, dass bei den beiden westlichen Jochen der Seitenschiffe die quadratische Grundform der übrigen Seitenschiffjoche aufgehoben wird. Das in seiner Größe den Jochen des Mittelschiffs entsprechende Joch des Chores geht über in ein durch fünf Seiten gebildetes Oktogon. Der Eindruck der Weiträumigkeit der Hallenkirche entsteht durch das im Vergleich zu den Seitenschiffen sehr breite Mittelschiff. Kantonierte Rundpfeiler fangen mit ihren Pfeilerdiensten das Kreuzrippengewölbe und die Gurte auf. Die Schlusssteine des Gewölbes sind besonders reich floral und figural verziert. Von dem Turmraum, der von einem achteckigen Gewölbe überspannt ist, führt ein Gang in die Ludgeruskapelle, wobei es sich wohl um das Untergeschoss des Nordturms von 1088 handelt.

Ausstattung

Epitaph von Kerckerinck

Epitaph von Kerckerinck

Vor der westlichen Wand des südlichen Seitenschiffs steht der um 1720 von Johann Wilhelm Gröninger (1675-1724)  geschaffene Taufstein.  Die Taufschale aus Alabaster ruht auf dem Fuß des Paradiesbaumes, um den sich die Schlange mit dem Apfel windet, wodurch die Befreiung von der Erbschuld durch die Taufe symbolisiert ist. Das Gemälde an der Wand hinter dem Taufstein, das von dem münsterischen Maler Mathias Kappers (1717-1781) geschaffen wurde, bildete ursprünglich das Mittelstück des barocken Hochaltars und stellt die „Himmelfahrt Mariens“ dar. Das gleiche Thema greift auch das Alabasterrelief im Westen des nördlichen Seitenschiffs auf.

Im Osten des nördlichen Seitenschiffs steht auf einer Kreuzblume des Westturms der von Bernhard Kleinhans 1982 aus Bronze geschaffene Tabernakel. Eine Bildgestaltung mit Verweisen auf das Alte und das Neue Testament wie auch die symbolhaften Deutungen sind ganz auf das Geheimnis der Eucharistie bezogen.
Vor dem nördlichen Chorpfeiler befindet sich eine Holzskulptur der Pietà aus der zweiten Hälfte des 15. Jh., die von den Gläubigen als ein Gnadenbild verehrt wird. 1712 wurde die Figur durch einen Brand, der wohl durch eine Kerze ausgelöst wurde, stark beschädigt.

Das barocke Kreuz über dem modernen Zelebrationsaltar aus Bronze, Onyx und Bergkristall von H. G. Bücker aus dem Jahre 1963 erinnert den Betrachter an die beiden Pole der Dauer und des Wandels in der Kirche.

Besonders kunstvoll gestaltet ist unter den zahlreichen Epitaphen der Kirche das Epitaph der Brüder Kerckerinck aus bemaltem Sandstein von Gerhard Gröninger (1582-1652) an der südlichen Wand des südlichen Seitenschiffs. Dargestellt sind Szenen aus dem Marienleben.

ueberwasser-chorfensterDie fünf Chorfenster und die zwei östlichen Seitenschifffenster von Peter Valentin Feuerstein, in den Jahren 1972-1975 geschaffen, haben ein weitgreifendes Bildprogramm. Der Erschaffung der Welt im Fenster der Nordwand des Chores schließen sich im linken Chorfenster biblische Szenen und Symbole an, die auf den Tod Christi und seine Erlösungstat verweisen.

Das rechte Chorfenster ist dem Ostergeschehen und dem Pfingst­ereignis gewidmet. Bei dem mittleren Chorfenster sind in der Mitte das Lamm Gottes und das himmlische Jerusalem dargestellt. Der obere Teil des Fensters kündet von der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit.

Im Fenster der südlichen Chorwand zum Thema „Gutes und Böses“ ist neben biblischen Szenen auch der Atombombenabwurf auf Hiroshima als das Böse unserer Zeit dargestellt. Während das Fenster im nördlichen Seitenschiff auf Grundelemente des Glaubens eingeht, ist das Fenster im südlichen Seitenschiff dem Mysterium der Taufe gewidmet.

Bedeutend sind auch die Kunstschätze in der Turmhalle. Der durch Umwelteinflüsse sehr stark beschädigte Grabstein eines Bischofs dürfte um 1180 entstanden sein. Ein Abguss dieses Grabsteins befindet sich an dem Strebepfeiler neben dem Westturm. Auf das späte 12. Jh. deuten die Trapezform des Grabsteins und die Wellenranken hin, die den seitlichen Rahmen verzieren. Die Figur mit Stab und Buch ist dem Betrachter frontal zugewandt. Die beiden Votivbilder zeigen Mitglieder der münsterischen Künstlerfamilie tom Ring. Votivbilder stellen häufig die dargestellten Personen unter den besonderen Schutz Gottes. Das ältere Bild mit der Datierung 1548 zeigt Ludger d. Ä. mit seiner Frau und seinen Kindern, wobei die Maler Hermann und Ludger d. J. als Erwachsene abgebildet sind. Das zweite Bild (1592) stellt die Familie Hermann tom Ring dar. Beide Bilder stammen wohl von Hermann tom Ring.

Die Ludgeruskapelle, durch einen Gang mit dem Westturm verbunden, führt ihren Namen darauf zurück, dass man glaubte, Ludgerus, der erste Bischof von Münster, sei nach seinem Tod hier aufgebahrt worden. Auf diese Annahme bezieht sich auch der barocke Altaraufbau, der 1691 von Johann Mauritz Gröninger (1652-1708) geschaffen wurde. Von den vier Figuren, die das Sterbelager des Bischofs in der Mitte umgeben, wurden 1982 drei Figuren gestohlen.